Niederwildhege

Kunstbau-Kommando

Jäger mit Dackeln
– © Florian Standke

Text: Redaktion Unsere Jagd

In Sachsen-Anhalt haben sich einige Raubwildjäger zusammengetan und in vier Revieren auf gut 2.000 Hektar 70 Kunstbaue angelegt. Wir durften die bunte Truppe einen Tag mit der Kamera begleiten.

Es gibt vermutlich keine Gegend in Deutschland, in der eine höhere Kunstbaudichte herrscht, als im Kreis Börde. Am heutigen Jagdtag wollen die Weidmänner um Mario Voigt so viele der 70 Kunstbaue abklappern, wie nur möglich. Seit über 20 Jahren ist der 56-Jährige als Baujäger aktiv und aufgrund seiner Passion über die Grenzen Sachsen-Anhalts bekannt.  „Viele Hundeprüfungen auf der Hasenspur werden in unseren Revieren abgehalten“, erzählt der Bauschlosser stolz. Das Niederwild liege ihm einfach am Herzen. Er und seine Mitstreiter sind davon überzeugt, dass die guten Hasenbesätze von der straffen Raubwildbejagung herrühren. Mit großen Erwartungen geht es los, doch im ersten Bau steckt kein Fuchs. Auch nach etwa 25 weiteren Kontrollen haben die Jäger nicht eine Lunte gesehen. „Ich hätte Haus und Hof drauf verwettet, dass es heute rappelt“, sagt Mitjäger Holger ungläubig. Ob das gute Wetter schuld ist und die Füchse lieber im luftigen Senf stecken als im stickigen Bau – wer weiß das schon. Jagd ist eben alle Tage anders.

Aufregung am letzten Kunstbau

Als wir schließlich am letzten Kunstbau ankommen, zeigt die tief stehende Sonne, dass der Tag schon fortgeschritten ist. Im November sind die Tage kurz, und das Licht lässt merklich nach. Dieses Phänomen scheint mit dem Gemütszustand der Jäger zu korrelieren. Die Motivation der Weidmänner und der Glauben an den Erfolg sind fast erloschen. Warum sollte Reineke ausgerechnet im letzten Bau stecken? „Sieht nicht schlecht aus. Auf dem Sand in der Einfahrt sind Spuren zu sehen“, flüstert Mario. „Das war aber heute schon häufig der Fall“, entgegnet Matthias leise und winkt ab. 

Wie viele seiner Vorgänger liegt auch dieser Kunstbau in einem Heckenstreifen. Knicks und vereinzelte Feldholzinsel bilden nahezu die einzigen Strukturen in der ausgeräumten Feldlandschaft rund um die Magdeburger Börde. Die großen Äcker reichen bis zum Horizont. Der Boden ist einfach zu fruchtbar, um ihn ungenutzt liegen zu lassen. Gewaltige Rübenmieten sind stumme Zeugen, was die Scholle hier erzeugen kann. 

Leise haben sich die Schützen postiert, sodass sie die Felder beiderseits der Hecke beschießen können. Rüdiger schleicht mit Dackel „Herbert“ zur Röhre, und der schlieft augenblicklich ein. Schon dringt der giftige Laut des Rüden nach draußen und lässt den Puls von allen Beteiligten emporschnellen. Keiner regt sich. Alle starren wie gebannt auf die Ausfahrt. „Das ist die einzige Chance. Jetzt bloß keinen Fehler machen!“, ist aus den angespannten Gesichtern abzulesen

Hund und Jäger sind aus der Unterwelt aufgetaucht und warten auf Unterstützung.

Wechselbad der Gefühle am Tagesende

Da erscheint der Rotrock kurz an der Ausfahrt, macht aber auf dem Absatz kehrt und fährt wieder ein. Offenbar hat er Lunte gerochen. Ein leiser Fluch seitens des Hundeführers lässt erahnen, dass es jetzt für den Teckel deutlich diffiziler wird, Reineke nach draußen zu drücken. Und genau so ist es. Fuchs und Hund sind sich offenbar in der 200er-Röhre frontal begegnet – der Dackel der Spur des Fuchses folgend auf dem Weg hinaus, und Reineke auf dem Rückweg in den Bau. Der Laut lässt vermuten, dass sich beide Kontrahenten Kopf an Kopf gegenüber liegen und immer wieder attackieren – ein Tête-à-Tête der besonderen Art.

Einige Minuten beharken sich die beiden. Es geht weder vor noch zurück. Der Dackel kann nicht genug Druck aufbauen, um Reineke zum Springen zu bewegen. „Wir öffnen den Kessel und versuchen den Hund abzunehmen“, sagt Mario. Gemeinsam mit Rüdiger ist schnell die richtige Stelle für den Einschlag gefunden. Nach ein paar energischen Rufen erscheint die Rute von „Herbert“, der sich rückwärts Richtung Kessel bewegt. Der Jäger greift beherzt zu und hebt den Dackel ans Tageslicht, wo ihn sein Führer in Empfang nimmt. Jetzt kommt der sogenannte Schieber zum Einsatz, den Mario entworfen und

gebaut hat. Dabei handelt es sich um einen langen und relativ steifen Draht, an dessen Ende ein spitz zulaufender runder Stempel aus Metall angebracht ist. Dieses Utensil passt exakt in die verbauten 200er-Röhren hinein. Das Ganze funktioniert wie bei einem verstopften Abflussrohr: Einfach rein ins Rohr und den „Fremdkörper“ durchschieben. „Wir haben seit einigen Jahren deutlich mehr Dachse, Marderhunde und Waschbären in den Kunstbauen als Füchse. Und die springen, im Gegensatz zu Reineke, fast nie. Dafür haben wir das Teil eigentlich gebaut“, erklärt der passionierte Raubwildjäger. Schon verschwindet der „Bohrkopf“ im Bau.

Alle Jäger wissen, dass Reineke jeden Moment springen wird. Die Schützen sind im Voranschlag und bereit, die Flinte sofort anzubacken. Normalerweise ist die Jagd am Kunstbau deutlich ereignisloser als am Naturbau. Doch nun hat das letzte Stündlein geschlagen. Der letzte Akt läuft, der Höhepunkt naht. Die einzige Chance des Tages, am allerletzten Bau einen Fuchs zu erlegen und nicht als Schneider nach Hause zu fahren, will keiner der Anwesenden vermasseln. Da fangen selbst erfahrene Baujäger an nachzudenken und spüren einen gewissen Erfolgsdruck.

Endlich tut sich was an der Ausfahrt

Wie eine Kanonenkugel kommt Reineke aus der Röhre geschossen. Die Garbe des ersten Schusses, von der linken Flanke abgegeben, schlägt kurz hinter dem Räuber ein. Auch ein nachgeworfener Schuss verfehlt sein Ziel. Mit elegantem Satz springt der Fuchs durch die Hecke und sucht sein Heil in der Flucht über den Acker zur Rechten. Damit haben die Jäger gerechnet. Ein weiterer Schütze ist dort postiert. Anbacken und mitziehen sind eins. Krachend verlassen die Schrote den glatten Lauf. Der Fuchs sollte rollieren, tut es aber nicht. Mit langen Fluchten saust er über den Raps und verschwindet hinter der nächsten Kuppe. Die Jäger rennen, was die Beine hergeben, bis sie die Senke einsehen können. Doch da ist nichts. Der Rotrock scheint sich in Luft aufgelöst zu haben. „Da hinten ist er“, ruft Jagdscheinanwärter Jeremy. Auf etwa 400 Meter ist Reineke zu sehen. Verblüffend, wieviel Raum er in so kurzer Zeit zurücklegen konnte. Kurz sichert der Fuchs zurück. Dann verschwindet er in einer Feldholzinsel, der einige Reihen Mais vorgelagert sind. 

Kleines Fuchsdrücken zum Jagdende

Eilig sitzen alle auf und fahren zur Feldholzinsel. Kaum sind die Hunde im Dickicht verschwunden, ist Laut zu hören. Hoffnung keimt auf. „Den kriegen wir“, sagt einer der vorgestellten Schützen, während er den Pistolgriff seiner Flinte etwas fester greift und den Dickungsrand nicht aus den Augen lässt. Die Jagd gleicht einem Wechselbad der Gefühle. Erst passiert lange nichts, und dann überschlagen sich am letzten Bau die Ereignisse. Der Laut eines Dackels nähert sich. Wackelnde Maisstängel kündigen Wild an. Dann bricht es aus dem Dichten hervor – Rehwild! Weitere Stücke flüchten. Von Reineke jedoch fehlt jede Spur. Das kleine Drücken bringt nicht den ersehnten Erfolg. „In über 20 Jahren ist es uns erst zwei Mal passiert, dass wir nach so einer Jagd als Schneider nach Hause fahren“, resümiert Holger. Um es positiv zu formulieren: So gesehen handelt es sich heute um einen ganz besonderen Tag, an dem man vielleicht auch in zwei Jahrzehnten noch zurückdenken wird. Florian Standke

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